Demokratie im Blick:

Auf einen Schnack mit der Initiative Offene Gesellschaft

Wir bei holi holen die Initiativen ins Rampenlicht! Mit Veranstaltungen, Workshops oder neuen Tools versuchen sie jeden Tag, die Demokratie in Deutschland und Europa zu stärken. Wie wichtig ihre Arbeit ist, zeigt sich auch vor der Europawahl. Doch, wie organisiert sich so eine Initiative überhaupt? Was sind ihre Ziele? Und wie sieht ihr Europa der Zukunft aus? Barbare Chavleishvili von der Initiative Offene Gesellschaft beantwortet unsere Fragen.

Was sind eure Ziele?

Durch offenen Dialog, aktive Beteiligung und gezielte politische Bildung streben wir danach, den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu stärken und die Teilhabe jedes Einzelnen zu fördern. Wir bringen Menschen unterschiedlicher Meinungen und Hintergründe zusammen, die sich sonst nicht begegnen. Unser Ziel ist es dabei stets, mehr als nur die “üblichen Verdächtigen” zu erreichen und Zielgruppen, die politisch wenig gehört werden, für die Mitsprache und Mitgestaltung in der Gesellschaft zu gewinnen.
Darüber hinaus ist es unser Anliegen, alle jene gesellschaftlichen Kräfte zu stärken,
die sich für eine offene und demokratische Gesellschaft einsetzen. Das tun wir zum
Beispiel mit Veranstaltungen, Aktionsmaterial und Beratung für Vereine, Kommunen
und andere Organisationen.

Was habt ihr schon erreicht?

Wir als Initiative sind 2016 entstanden, als Reaktion auf den “Sommer der Migration”
und die intensive Diskussionen über die Willkommenskultur auf der einen Seite und
den zunehmenden Einfluss rechtspopulistischer Kräfte auf der anderen Seite. Mit
Leidenschaft haben wir uns mit Tausenden von Menschen im gesamten Land zusammengetan, um eine zentrale Frage zu erkunden: Welches Land wollen wir sein? Was damals als Bewegung begann, hat sich zu einer etablierten Organisation entwickelt. Seit Jahren schaffen wir einen Raum, in dem Menschen aufeinandertreffen und sich austauschen können.
Unsere Arbeit erstreckt sich über verschiedene Ebenen der Politik, angefangen auf
der kommunalen Ebene, wo wir den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie den lokalen Behörden fördern, um gemeinsam Lösungen für lokale Herausforderungen zu finden. Wer mehr erfahren will, dem empfehlen wir unser Handbuch “Mehr Erreichen: Mit Beteiligung” (Link: https://kommunen-der-offenen-gesellschaft.de/downloads/)
Neben unserer Arbeit in Kommunen veranstalten wir jährlich den Tag der Offenen
Gesellschaft (TdOG). Jedes Jahr kommen Menschen deutschlandweit am dritten Samstag im Juni zusammen, setzen sich an Tische und treten in Dialog, um ein starkes Signal für eine offene und vielfältige Gesellschaft zu senden. Im Rahmen dieses Projekts haben wir dieses Jahr das Bündnis der Offenen Gesellschaft gegründet, das bereits über 50 Organisationen vereint, die sich aktiv für Demokratie einsetzen. Mit Faktor D vereinen wir demokratische Kräfte sektor- und länderübergreifend (im DACH Raum), um innovative Lösungen für die Stärkung unserer Demokratien zu entwickeln. Wir fördern Wissensaustausch fördern und gemeinsames strategisches Handeln.
Wie schon erwähnt, setzen wir mit unseren Projekten auch aktiv für politische Bildung ein. Das Projekt Pilotvorhaben für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex, ist im Rahmen der Kulturhauptstadt Europa 2025 entstanden und stellt einen Begegnungs- und Gedenkraum dar, der als zentrale Anlaufstelle dient, um die Erinnerung an die Opfer des rechtsterroristischen NSU wach zu halten und Hintergründe sowie Versäumnisse aufzuarbeiten.

Plant ihr eine besondere Kampagne zur Europawahl?

Ja, das tun wir mit dem Europa Hub Berlin. Seit Mitte April haben wir einen Kalender bei Instagram, der auf Veranstaltungen und Aktionen in Berlin rund um die Europawahl hinweist. Am Mittwoch, den 12.06.2024 laden wir ab 16 Uhr zu einem Online-Austausch über die Wahl und ihre Ergebnisse ein. Mehr Infos zu den Veranstaltungen und unseren Europa-Aktivitäten findet ihr hier: https://europahub.berlin

Wie sieht euer Europa der Zukunft aus?

Es ist ein wiederkehrendes Thema in den Medien, Umfragen und Statistiken: Viele Menschen in der Europäischen Union erkennen nicht mehr die Bedeutung dieser Institution, sehen sie eher als Ursache für Probleme statt als Quelle von positiven Entwicklungen. Das europäische Projekt ist zu etwas Abstraktem geworden. Dabei wird vergessen, dass viele der Rechte und Freiheiten, die wir in Europa genießen, keineswegs selbstverständlich sind und erst durch die Europäische Union ermöglicht wurden. Um die Vorzüge der EU zu schätzen, reicht es aus, auf Länder am Rand Europas zu blicken, die sich aktiv dafür einsetzen, Teil dieser Union zu werden.

Ich selbst komme aus Georgien, einem Land, das seit Jahren darum bemüht ist, Teil der europäischen Familie zu werden. Heute ist dieses Ziel das beherrschende Thema, das jeden einzelne*n Georgier*in beschäftigt. Seit Wochen füllen Bilder von Tausenden von Menschen, die georgische und EU-Flaggen schwenken, die Nachrichten. Sie stehen und kämpfen vereint in den Straßen für eine europäische Zukunft. “Heute schlägt das Herz Europas in Tiflis” liest man oft in Nachrichten. Aber welche Werte verteidigen die Georgier täglich auf den Straßen? Der Grund für die Demos ist das Gesetz zu „ausländischer Einflussnahme“, auch “russisches Gesetz” genannt, das die Regierung vorantreibt. Dieses Gesetz verlangt, dass sich Organisationen und Medien, die mindestens 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, als Organe registrieren, die „Interessen ausländischer Mächte verfolgen“ (auch als Agenten genannt). Das kann die Arbeit von NGOs beeinträchtigen, die sich für Minderheiten und marginalisierte Gruppen einsetzen.
Daneben besteht die Gefahr, dass das Gesetz auch gegen einzelne Personen verwendet wird, indem sie gezwungen werden, Informationen über ihr Privatleben an den Staat weiterzugeben. Dieses Gesetz bedroht die gesamte europäische Zukunft Georgiens, einschließlich unseres Kandidatenstatus für die Mitgliedschaft. Das Wort „kämpfen“ ist hier keine Übertreibung, denn all jene, die an den Demonstrationen teilnehmen, setzen ihre Freiheit und sogar ihr Leben aufs Spiel: Nacht für Nacht werden die Demonstranten von der Polizei angegriffen, festgenommen und bedroht. Doch trotz dieser Gefahren strömen jeden Abend Zehntausende erneut auf die Straßen, um die Europäischen Werte und unsere freie Zukunft zu verteidigen. Mit einer freien, demokratischen und europäischen Zukunft meine ich eine vielfältige und offene Gesellschaft, freie Medien ohne Zensur, die Freiheit des Wortes, Meinungsvielfalt, Frieden, ökonomische Stabilität, die Weiterentwicklung der Forschung, die Förderung von Minderheiten und marginalisierten Gruppen, Zusammenarbeit mit anderen Europäischen Ländern, die Garantie der Antidiskriminierung, freie und faire Wahlen, klare Gewaltenteilung, Ausbildungsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern und Freizügigkeit.
Es ist wichtig anzuerkennen, dass Europa noch nicht alle diese Aspekte vollständig
garantiert. Es bedarf weiterer Anstrengungen, um das volle Potenzial der EU auszuschöpfen. Gleichzeitig müssen wir uns der Gefahr bewusst sein, dass ohne EU in Georgien eine Zukunft droht, in der Menschen daran gehindert werden könnten, an Wahlen teilzunehmen, frei ihre Meinung zu äußern, ihre Sexualität zu leben, die Regierung zu kritisieren und über die Zukunft ihres Landes mitzuentscheiden.
Unser Ziel als Initiative Offene Gesellschaft ist es, Menschen zu zeigen, was Europa
ihnen im Alltag bringt und das Europa-Projekt für mehr Menschen zugänglich zu machen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Dabei nutzen wir Workshops, Trainings und Austauschrunden, um aktuelle Geschichten zu Europa zu untersuchen und neue Perspektiven einzubeziehen, insbesondere im Hinblick auf die Europawahl.

Wie kann man sich bei euch einbringen oder mitmachen?

Aktuell will ich da besonders zwei Möglichkeiten betonen: Seid dabei beim Tag der Offenen Gesellschaft als deutschlandweites Straßenfest der Demokratie am 15. Juni – veranstaltet einen eigenen Tisch oder ruft andere dazu auf, das zu tun! Meldet eure Aktion an und erhaltet unsere Aktionsmaterialien, kommt in unser Bündnis, nehmt an unseren Stammtischen teil! Das ist eine super Gelegenheit für alle, die nach den Demos und vor den Wahlen Zeichen setzen und Raum für Dialog schaffen wollen: https://tag-der-offenen-gesellschaft.de/

Faktor D ist unser Netzwerk für Akteure, die Demokratie und Partizipation stärken
wollen im deutschsprachigen Raum. Beim Faktor D Festival bringen wir Akteure aus
den drei Ländern zusammen für Austausch über unsere Praxis, unsere Strategien
und kollektive Wirkung. Seid dabei bei unseren Veranstaltungen wie der Online-Reihe “Im Diskurs” und unserem “Mitmacht-Festival” Anfang September in Ingolstadt!